von Sirkka Klöpper-Mauermann
Die Buchhandlung Th. Christiansen ist eine der ältesten Buchhandlungen in Hamburg und sie ist die einzige, die über die ganze Zeit im Familienbesitz geblieben ist. Das 130-jährige Jubiläum gibt Anlass für einen Rückblick auf die Geschichte des Hauses und der Familie.
Ottensen hat 1871 im Zusammenschluss mit Neumühlen Stadtrecht erhalten. Als Folge des Deutsch-Dänischen Krieges (1864) wurde es 1866 Teil der preußischen Provinz Schleswig-Holstein. Die junge Stadt liegt im Wirtschaftsgebiet des Deutschen Zollvereins, was einen erheblichen Standortvorteil gegenüber ihren Nachbarinnen Altona und Hamburg bedeutet. Viele Industrieunternehmen wählen Ottensen als Standort, z.B. bereits 1849 die Glashütte Schläger in der Bahrenfelder Straße, später dann die Maschinenfabrik Menck+Hambrock in der Großen Brunnenstraße oder auch die Eisengießerei und Schiffsschraubenfabrik Theodor Zeise (zunächst Lange & Zeise) mit ihren Werkshallen in der Friedensallee. Ottensens Nähe zur Elbe, den Werften und der neugegründeten Eisenbahn ist attraktiv, vom Jahr 1840 an ist ein erheblicher Bevölkerungszuwachs zu verzeichnen: Bis ins Jahr 1900 wächst die Einwohnerzahl von gut 2000 auf rund 30.000 Einwohner an.
Zu den Neuankömmlingen in der damals jungen Stadt Ottensen zählt Hinrich Friedrich Theodor Christiansen. Er verlässt 1878 mit 26 Jahren seine ostholsteinische Heimat Neukirchen bei Lübeck. Noch im selben Jahr, am 1. April, eröffneter eine „Lehrmittelagentur“ in der Bahrenfelder Straße 79. Am 9. Mai lässt er das Geschäft beim Königlichen Amtsgericht Altona eintragen.
Leider ist nicht überliefert, ob Theodor ausgebildeter Buchhändler ist. Auch ist unbekannt, ob in erster Linie wirtschaftliche Gründe zur Wahl des Geschäftszweigs führen oder eine bibliophile Ader. In seinen Anfängen widmet sich das Geschäft jedenfalls nicht dem reinen Bücherverkauf: Im Sortiment befinden sich neben Büchern, Heften, Papier und Landkarten auch in Spiritus eingelegte Amphibien und Reptilien für die Sammlungen der Schulen.
Im Gründungsjahr der „Lehrmittelagentur“ eröffnen in der Nachbarschaft zwei Schulen: die Mittelschule in der Rothestraße, die 1882 als Realschule anerkannt wird, und das neue Freischulgebäude in der Lagerstraße.
Bereits im Jahr 1889 – in diesem Jahr wird Ottensen von Altona eingemeindet – wird das Geschäft Mitglied Nr. 4589 des Börsenvereins. Dass Theodor Christiansen senior ein erfolgreicher und in Ottensen hoch angesehener Geschäftsmann und Bürger ist, bezeugt das Erscheinen zahlreicher Zeitungsartikel anlässlich seines Todes im Jahr 1927. Hier ein Ausschnitt: „Aus kleinen Anfängen heraus, getragen durch das Vertrauen seiner Mitbürger und auf Grund eigener Geschäftstüchtigkeit, entwickelte sich das Geschäft des Herrn Christiansen sehr rasch zu hoher Blüte, so dass es zurzeit als erstes unserer Stadt gelten darf.“
Schon 1927, im 49. Jahr des Bestehens, heben die Zeitgenossen die Verwurzelung des Geschäfts in Ottensen hervor: „Zwei, ja drei Generationen mancher Ottenser Familie haben bei ihm die Schulbücher gekauft.“ In den Nachrufen wird das Christiansensche Geschäft einhellig als „Buchhandlung“ bezeichnet, zu dem Theodor Christiansen es offenbar fortentwickelt hat.
Eine große Trauergesellschaft trägt den hoch geschätzten Ottenser Bürger zu Grabe. „Wohl jeder hätte es dem Verblichenen gegönnt, am 1. April nächsten Jahres das goldene Geschäftsjubiläum feiern zu können.“ Theodor Christiansen war über 30 Jahre Rechnungsführer im Kirchenvorstand der Christianskirche und zuletzt Kirchenältester, zudem wirkte er als Schiedsmann und Richter. „Dieser aufrechte Mann redete niemand nach dem Munde; er vertrat seine Überzeugung auch dann, wenn sie anderen nicht passte.“
Nach dem Tod des Seniorchefs im Jahr 1927 übernimmt der Sohn – Theodor Christiansen junior – die Leitung des prosperierenden Geschäfts, das nun als „Buch-, Papier- und Lehrmittelhandlung Th. Christiansen“ firmiert. Theodor junior ist mittlerweile 41 Jahre alt, Ehemann und Vater eines Sohnes, Günther Christiansen. Zum Zeitpunkt der Geschäftsübernahme blickt Theodor junior bereits auf eine lebenslange Erfahrung im Buchhandel zurück: „So befangen von meinem erwählten Beruf war ich allerdings nicht, denn bereits viele Jahre vorher wurde ich im elterlichen Geschäft zur Hilfeleistung herangezogen und so manche Stunde, wo die Schulkameraden in ihrer Freizeit herumtollen konnten, musste ich im Geschäft helfen.“
Mit sechzehn tritt er seine Lehrjahre bei einem Hamburger Buchhändler an. Auf die Lehre folgen mehrere Anstellungen in unterschiedlichen deutschen Städten, die Zeit, die Theodor junior in seinen Aufzeichnungen aus dem Jahr 1943 nostalgisch als sein „Wanderleben“ bezeichnen wird: „Und dann ging´s an den Rhein! Wenn ich an die schöne Zeit zurückdenke, die ich vom Oktober 1908 bis zum Herbst 1909 in Bonn verleben durfte, so muss ich immer wieder sagen: Es war wohl die schönste Zeit meines jungen Lebens! […] Wenn ich nun von all´ den schönen Erlebnissen am Rhein erzählen wollte, müsste ich wohl ein besonderes Buch schreiben. An meinen Antritt in Bonn habe ich oft zurückdenken müssen. Es war an einem Freitagnachmittag gegen 4 Uhr. Freudig wurde ich begrüßt. Nachdem ich mir eine „Bude“ gesucht hatte, gab mir der Chef den zweiten Gehilfen mit, um mir Bonn zu zeigen. […] Ich kam tatsächlich erst am Dienstag dazu, meinen Koffer, den mein Mütterchen mir so fürsorglich gepackt hatte, auszuräumen. Da habe ich mich aber doch ein wenig geschämt?!?“
Der rheinische Karneval – „Dies ist eine rheinische Angelegenheit, die ein Norddeutscher im allgemeinen schwer begreifen kann. Ich habe mich aber auch von dieser Fröhlichkeit restlos einfangen lassen und denke immer gern daran zurück.“ – und der intellektuelle Austausch hatten es Theodor angetan. „Nebenbei hielten wir im Kollegenkreise Leseabende ab, belegten in der Universität als Gasthörer beim Professor Litzmann die Vorlesungen über Goethes Faust und wagten uns auch – wenn auch ein wenig schüchtern – an die Philosophie heran.“ Mit Ausnahme derartiger Schilderungen aus seiner Junggesellenzeit sind Theodors Aufzeichnungen aus dem Jahr 1943 ein Zeugnis der vielen Tiefschläge, die er in seinem Leben hinnehmen muss.
Als er 1928 die väterliche Buchhandlung übernimmt, steht das goldene Geschäftsjubiläum unmittelbar bevor, das Geschäft gehört zu den bedeutendsten und bestsituierten der Stadt (Ottensen gehört mittlerweilezu Altona). Doch die weltwirtschaftliche Lage steht in deutlichem Gegensatz zu diesem familiengeschichtlich erfreulichen Datum: Die Weltwirtschaftskrise geht auch an der Buchhandlung Th. Christiansen nicht spurlos vorbei. Zur Sicherung des Geschäfts übergibt Theodor die Leitung vorübergehend an seine Schwester Ella.
Die dreißiger Jahre bringen keine erheblichen Verbesserungen der wirtschaftlichen Situation mit sich. Die „Machtergreifung“ durch die Nationalsozialistenführt dazu, dass die Buchhandlung Th. Christiansen keine Staatsaufträge mehr bekommt, das lukrative Schulbuch- und Lehrmittelgeschäft fällt weg. Als Freimaurer – Theodor gehört der „Loge Ferdinand zum Felsen“ an – wird er vom NS-Regime beargwöhnt. Die Loge wird von den Nationalsozialisten zwangsweise aufgelöst und das Haus in der Welckerstraße wird 1937 von den Nazis abgerissen. Bereits im November 1945 wird Theodor Christiansen in der Loge wieder aufgenommen. Bei seiner Wiederaufnahme äußert sich Theodor Christiansen über seine politische Einstellung: „Ich wünsche ein friedliches Deutschland, in welchem jeder seine Pflicht tut, ohne sich um Rassen- oder Klassenunterschiede zu kümmern.“ Den Freimaurerdaten kann man entnehmen, dass Theodor Christiansen „34,54 Jahre“ ein engagiertes Mitglied der Loge war.
In den Bombenangriffen der Operation Gomorrha Ende Juli 1943 verlieren rund 34.000 Einwohner Hamburgs ihr Leben. Die Christiansens verlieren in einer der Bombennächte das Wohn- und Geschäftshaus mit allem Hab und Gut, kommen jedoch mit dem Leben davon. Das Schlusswort aus Theodors Aufzeichnungen vom September 1943 zeugt vom absoluten Tiefpunkt in der Christiansenschen Familiengeschichte: „Und nun, nach 40-jähriger Berufstätigkeit, stehe ich vor den Ruinen unseres alten Geschäfts und Grundstückes! Nun muss noch einmal alle Energie zusammengerissen werden, um den Wiederaufbau zu bewerkstelligen. Mein sehnlichster Wunsch und eiserner Wille ist es, unsere alte Firma, die mein Vater aus kleinsten Anfängen gegründet hat, in dem gewesenen Umfang wieder herzustellen.“ Der Sohn Theodors, Günther Christiansen, ist mittlerweile 17 Jahre alt. Von der Vernichtung des Hauses erfährt er bei seiner Rückkehr vom Dienst als Luftwaffenhelfer. Ein Jahr später, im Herbst 1944, wird der knapp 18-Jährige zur Wehrmacht eingezogen. Nach Kriegsende gelangt Günther in russische Kriegsgefangenschaft, aus der er im Herbst 1945 zurückkehrt. Am kleinschrittigen Wiederaufbau des Geschäfts kann er sich daher vorerst nicht beteiligen. Schon kurze Zeit nach der Zerstörung des Hauses Nr. 79 wird der Hutladen in der Bahrenfelder Straße 77 angewiesen, der Buch-, Papier- und Lehrmittelhandlung die Hälfte seiner Ladenfläche zur Verfügung zu stellen. Hier erhält der Kunde nun buchstäblich alles für den Kopf: Bücher – wahlweise käuflich erworben oder leihweise – Mützen und Hüte.
Günther Christiansen bekommt erst 1947 die Möglichkeit, in die Fußstapfen seines Vaters und Großvaters zu treten. Wie sein Vater absolviert er eine Buchhändlerlehre in Hamburg, dessen Stadtteil Ottensen mittlerweile ist. Sein Eintritt in den Familienbetrieb fällt mit der Wiedereröffnung des neuen Geschäfts mit der alten Adresse zusammen, das Nebeneinander von Hüten und Büchern gehört von nun an der Geschichte an. Zur Einweihung des neuen Geschäftshauses in der Bahrenfelder Straße 79 gibt es viele Blumen, die noch in voller Blüte stehen, als Lieselotte Sahlmann 1949 ihre Ausbildung in der Buchhandlung beginnt. Schon zwei Jahre später wird auch sie den Namen Christiansen tragen, als Ehefrau des künftigen Firmenchefs Günther Christiansen. Doch bevor Günther diesen Status erreicht, widmet er sich für eine Zeit intensiv den Schönen Künsten. Günthers kunstbeflissene Mutter Käthe hat den einzigen Sohn früh an die Kunst, die Literatur und die Musik herangeführt. Sicherlich ist es diese Affinität, die Günther dazu bringt, an der Universität Hamburg seine Liebe für die Altphilologie zu entdecken. Vielleicht aber ist die Buchhandlung auch zu eng geworden für zwei gestandene Männer – Theodor und Günther – und die erfahrene Geschäftsfrau Ella. Als gewiss gilt, dass Günther die Leidenschaft zur lateinischen Sprache sein Leben lang begleiten soll und Horaz sowie Vergil zu seinen Lieblingsdichtern macht.
Im Jahr 1953 feiert die Buchhandlung ihr 75-jähriges Bestehen. Eingedenk der Ereignisse der vergangenen 25 Jahre, die das Geschäft mehrmals existenziell bedroht haben, darf dieses Jubiläum sicherlich als besonders denkwürdig bezeichnet werden. Theodor junior überlebt das 75. Jubiläum um vier Jahre. Er verstirbt am 8. Dezember, wie einst sein Vater in der Vorweihnachtszeit. Die Tageseinnahmen des freitäglichen Weihnachtsgeschäftes trägt er noch in der Manteltasche, als er abends tot in der S-Bahn aufgefunden wird.
Günthers Studienzeit findet mit diesem Ereignis ein jähes Ende. An der Seite seiner Tante Ella übernimmt er nun das Geschäft, das im folgenden Jahr schon die vierte Generation Christiansen ernährt: 1958 bringt Lieselotte ihre Tochter Ruth zur Welt, Sönke wird 1962 geboren. Das Ehepaar Lieselotte und Günther Christiansen beginnt in den sechziger Jahren seine beruflichen Aktivitäten auszuweiten. Lieselotte eröffnet 1963 in Lurup eine neue Filiale der Buchhandlung Th. Christiansen. „Mein Herzblut hängt an Lurup“, sagt die heute 80-Jährige, die das Geschäft bis in ihr 73. Lebensjahr hinein geführt hat. Mit Stolz und Nostalgie in der Stimme erwähnt sie ihre große Kundenkartei, „Leute, die fast meine Freunde waren“. Dass diese Einschätzung von ihren Kunden geteilt wurde, bezeugt ein liebevolles Dankesgedicht, das die Kundin Christa Jansen anlässlich des 100-jährigen Jubiläums im Jahr 1978 verfasst.
Günther beginnt in den 60er Jahren ehrenamtlich für den Berufsstand zu arbeiten. 1962 wird er als objektiver Gutachter bei der Ermittlung der Schäden der großen Hamburger Flutkatastrophe eingesetzt. Sein Ottenser Geschäft liegt einige rettende Meter über der Höchstmarke und ist daher nicht vom Hochwasser betroffen. Anders geht es zahlreichen Buchhandlungen in der Innenstadt, deren Schäden Günther Christiansen nun ermittelt. Während Günther sich auf diese Weise unter den Hamburger Kollegen einen Namen macht, erwächst auch ein enger Kontakt zum damaligen Hamburger Innensenator Helmut Schmidt. Die Bekanntschaft zu Helmut und Loki Schmidt – eine treue Kundin der Christiansens – soll über die Jahre nicht abreißen. Sie ist ein Vorbote dafür, in welche Gesellschaftskreise Günther mittels seines Engagements für den Buchhandel noch vorstoßen wird.
Im Jahr 1966 stirbt Ella Christiansen, die an der Seite ihres Bruders Theodor junior jahrzehntelang – und insbesondere in der Zeit der Weltwirtschaftskrise – das Weiterbestehen der Buchhandlung gesichert hat. Lieselotte führt zum Todeszeitpunkt Ellas die Zweigstelle in Lurup, Günther hat sich bereits ganz der Verbandsarbeit verpflichtet. Die Leitung der Buchhandlung in der Bahrenfelder Straße wird daher Mitte der 60er Jahre an die Buchhändlerinnen Dagmar Pietraß und Sigrid Piezunka übergeben. Mit ihrem großen Engagement für die Belange des Geschäfts und der Kundschaft werden sie dem Laden für mehr als dreißig Jahre ein Gesicht verleihen. Sie machen es sich zur Aufgabe, die Vielfalt des Sortiments kontinuierlich zu erweitern. Während der Verkauf von Lernmaterial wie Papier, Pappe und Füllfederhaltern in den 60er Jahren weiter betrieben wird, erspüren Frau Pietraß und Frau Piezunka mit der ihnen eigenen buchhändlerischen Einfühlsamkeit die Neigungen ihrer Kunden und erweitern das Angebot an Belletristik. So erinnern sich die beiden: „Diese Vielfalt wurde kontinuierlich erweitert. Zunächst wurde der Laden umgebaut, die „reine“ Buchhandlung brauchte den Platz der Papierabteilung, und langsam wuchs uns ein Kundenstamm – ja, wir können sagen, „ans Herz“. Wie viele Kinder nutzen die Pause zwischen Schwimmen im Bismarck-Bad und Unterricht am Hohenzollernring, um mal schnell zu Frau Pietraß zu gehen. „Es gab wunderbare Eltern, die viel Verständnis für die Lese-Leidenschaft ihrer Sprösslinge aufbrachten. Und wir versuchten bereits beim Einkauf der Bücher auf die Wünsche und Neigungen unserer Kunden zu achten.“
Neben der alteingesessenen Ottenser Kundschaft beliefert die Buchhandlung Th.Christiansen das Seminar für germanistische Literatur an der Universität, ein Archiv für Literatur zur Lebensmittelchemie und mehrere Ottenser Schulen. Der Ausbildung des Buchhändlernachwuchses fühlt Frau Piezunka sich in besonderer Weise verpflichtet. Frau Pietraß dagegen steckt so manchen Kunden mit ihrer Leidenschaft für die Poesie an, indem sie zahlreiche Dichterlesungen – unter anderem mit Siegfried Lenz, Reiner Kunze und Peter Wawerzinek – veranstaltet. „Unvergessliche Abende“, wie sie nach ihrer Pensionierung sagen wird.
Günther Christiansen weiß seine Buchhandlung in guten Händen. Die Gästeliste zum 100-jährigen Jubiläum der Buchhandlung im Jahr 1978 verdeutlicht, dass der Geschäftsmann auch als Funktionär schon damals hoch angesehen war. Es gratuliert Prominenz aus der Hamburger Politik, dem Buchhandel und dem Verlagswesen: u.a. Senator a.D. Helmuth Kern, Heinrich Maria Ledig-Rowohlt und Heinrich Hugendubel. Die Karriere von Günther Christiansen strebt jedoch noch ihrem Höhepunkt entgegen: 1979 wird er zum Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels gewählt, dem höchsten Amt im Engagement für den Deutschen Buchmarkt. Zu seinem 60. Geburtstag 1986 gratuliert ihm das Börsenblatt mit der Überschrift „Ein Glücksfall – und dies für drei Amtsperioden“. Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass ein Vorsteher – und zudem noch ein Sortimenter – so häufig wiedergewählt wird. Er nimmt sein Engagement „in souveräner Umsicht, mit Gelassenheit und Würde, mit Konsequenz und Zielstrebigkeit, mitreißendem Engagement und überzeugender Glaubwürdigkeit nach innen und nach außen wahr – und das alles ohne den geringsten Anflug von Geltungs- oder Machtbedürfnis, sondern mit seinem so typischen hanseatischen Understatement.“
Im selben Artikel wird die Frage aufgeworfen, welche seiner Verdienste im Nachhinein als wirklich bedeutsam angesehen werden würden. „Werden es die Friedenspreise des Deutschen Buchhandels sein?“ Nun, mit Octavio Paz zeichnet Günther Christiansen 1984 einen späteren Nobelpreisträger aus, mit Lew Kopelew (1981), George F. Kennan (1982), Manès Sperber (1983) und Teddy Kollek(1985) ihrerseits Namensgeber von renommierten Preisen. „Oder werden es die Nordischen Literaturtage sein?“ Selbige fanden 2007 zum 11. Mal statt und haben sich längst zu dem Großereignis der Nordischen Kultur in Hamburg entwickelt. Für sein gesamtes Wirken für das deutsche Buchwesen wird Günther Christiansen 1987 vom Ersten Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg Klaus von Dohnanyi mit dem Bundesverdienstkreuz Erster Klasse ausgezeichnet.
Günther Christiansen führt den Vorsteherposten bis 1989 aus. Sein Sohn Sönke hat seine Buchhändlerlehre in Heidelberg mittlerweile abgeschlossen und arbeitet in Bonn, wie einst sein Großvater Theodor, jedoch mit weniger Begeisterung für den rheinischen Karneval. Ab 1990 macht Sönke in Berlin beruflich Station, wo er seine künftige Ehefrau Nicole – wie sollte es anders sein, auch sie ist Buchhändlerin – kennenlernt. Mit der einjährigen Tochter Stella zieht das junge Ehepaar 1994 nach Ottensen.
Sönke bekommt von seinem Vater die Verantwortung für die Buchhandlung übertragen. Im Jahr 1995 eröffnet in unmittelbarer Nachbarschaft das neue Einkaufszentrum Mercado mit einer großen Filialbuchhandlung. Die veränderte Marktsituation in Ottensen stellt auch die Buchhandlung Christiansen vor neue Herausforderungen. Sönke Christiansen trifft in dieser wirtschaftlich schwierigen Zeit Entscheidungen, die den Fortbestand der Buchhandlung sichern sollen.
Heute engagiert sich in der Buchhandlung vor allem Nicole Christiansen mit ihrem Team leidenschaftlich dafür, aus jedem großen und kleinen Ottenser eine Leseratte zu machen. Gemeinsam mit ihrem Mann sucht sie neue Wege, die Familientradition fortzusetzen und gleichzeitig der Buchhandlung Christiansen ein zeitgemäßes Gesicht zu geben.