Lesetipp von Susanne Sießegger - 13.09.2022
Aus dem Französischen von Sabine Schwenk
Roman, Eisele Verlag, 24,00 €
Da macht doch schon der Titel neugierig: „Die Definition von Glück"! Die hätten wir doch alle gern, um danach zu leben.
In diesem Roman gibt es zwei sehr unterschiedliche Protagonistinnen, mithin auch unterschiedliche Definitionen von Glück. Unweigerlich springt ein Gedankenkarussell an: Was ist denn eigentlich Glück? Was macht uns glücklich und welcher Lebensweg ist der Richtige? Und sind diese Fragen generationsbedingt verschieden?
Nun aber zum Inhalt dieses wunderbaren Romans (aus dem Eisele Verlag, der immer wieder Perlen der Literatur entdeckt und veröffentlicht):
Clarisse und Éve sind die beiden Heldinnen dieses Romans. Über Jahrzehnte hinweg begleiten wir die Lebensgeschichten dieser beiden Frauen und sie könnten unterschiedlicher nicht sein: Clarisse lebt in Paris und ist eine unkonventionelle Abenteurerin, Éve lebt in New York, führt eine stabile Ehe und ein edles Catering-Unternehmen. Sie unterscheiden sich charakterlich sehr, nehmen die Herausforderungen des Lebens so ganz unterschiedlich an und könnten doch Nachbarinnen oder Freundinnen sein. Wie diese beiden Leben verknüpft sind, werde ich Ihnen natürlich nicht verraten! Catherine Cusset erzählt so interessant und in einer bildhaften Sprache, welche Ereignisse Clarisse und Éve auf ihrem Lebensweg beeinflussen, dass das Lesen eine große Freude war. Das ist so ein Roman und das sind Figuren, die die Leser:innen noch ein Weilchen begleiten. So ging es mir zumindest: Ich wollte manchmal hineinrufen in dieses Buch „Mach das nicht!" oder „Die Entscheidung ist nicht gut!". Aber auch der Bezug zu dem eigenen Leben oder den Sinnfragen, die wir uns zuweilen stellen, macht diesen Roman zu einem besonderen Leseerlebnis.
Lesetipp von Annette Quest - 04.09.2022
Aus dem Englischen von Katharina Naumann
Kinderbuch ab 10 Jahren, Atrium, 15,00 €
Wir befinden uns in Indien, im Bahnhof von Mumbai, wo Ajay Zeitungen verkauft. Was er allerdings viel lieber tun würde, ist, selbst als Journalist für diese Zeitung zu schreiben. Dafür ist er natürlich viel zu jung. Aber auch die Tatsachen, dass er keine Eltern hat, arm und außerdem ein 'Unberührbarer' ist, macht es ihm nahezu unmöglich, jemals einen solchen Beruf zu ergreifen. Denn selbst wenn eine Diskriminierung aufgrund der Kaste in Indien schon lange gesetzlich verboten ist, besteht die Hierarchie in den Köpfen fort. Ajay jedoch ist ein sehr willensstarker und kluger Junge, der weiß, wann seine Chance gekommen ist. Als die Textilfabrik, in der seine Freundin arbeitet, im Monsunregen einstürzt, beginnt er zusammen mit seinen Freunden zu recherchieren und ist bald einem großen Skandal auf der Spur. Da versteht es sich ja wohl von selbst, eine eigene Zeitung zu gründen und die üblen Machenschaften ans Licht zu bringen!
Ein Kinderbuch, das sich mit der Problematik von sozialer Ungerechtigkeit und 'Fast Fashion' in Indien auseinandersetzt, hat mich sofort neugierig gemacht. Noch dazu, wo dieser brisante politische Aspekt in eine spannende Geschichte verpackt ist, bei der man immer wieder den Duft von karamelisierten Zwiebeln, mit Kreuzkümmel gewürzten Kartoffelwürfeln, Kokosnuss und natürlich Curry in der Nase hat! Und auch, wenn mir manches ein wenig glatt gebügelt erscheint, wirken andere Szenen und Wendungen dafür umso realistischer.
Interessant sind die Informationen der Autorin im Anhang, die den Lesenden zum Nachdenken anregen. Müssen wir Deutsche wirklich durchschnittlich 60 neue Kleidungsstücke pro Jahr kaufen und damit immer wieder die schlechten Arbeitsbedingungen und die Kinderarbeit in Ländern wie Indien untermauern?
Lesetipp von Sigrid Lemke - 03.09.2022
Zeichnungen von Jens Rassmus
Kinderbuch ab 8, Hanser Verlag, 15,00 €
Opa Peter soll ins Altenheim? Bloß weil er nackt im Garten Yoga macht und 23 Gläser Senf in seinem Vorratsschrank hat? Jonte alarmiert ihren Freund Schippo und ihre Geschwister. Aber Mama bleibt stur! Jetzt kann nur noch ein Wunder helfen, oder einer von Jontes genialen Plänen! Jonte plant einen Ausflug mit Opa und Schippo nach Husum um dort Erinnerungen und Krabbenbrötchen zu finden. Die drei erleben ein äußerst aufregenden Wochenende mit einem sehr überraschenden Ende.
Silke Schlichtmann ist ein witziger, spannender Kinderroman über Familie und den Zusammenhalt dreier Generationen gelungen. Und am Schluss steht die Erkenntnis: Alle haben ein bisschen Recht!
Lesetipp von Sybille Kramer - 23.08.2022
Roman, dtv, 22,00 €
Leda und ihr kleiner Sohn Zeno leben sehr zurückgezogen in einer alten verlassenen Saline an einer Flussmündung. Die Gezeiten sind hier der alles bestimmende Faktor. Die Klimakatastrophe ist weiter fortgeschritten, der Kipppunkt längst erreicht.
Ab und zu kommen Touristen aus der nahen Stadt. Zeno erklärt ihnen etwas über Salzgewinnung und zeigt die alten Anlagen und Salzbassins. Das bringt ein wenig Geld ein, genau wie der Verkauf vom vorher im Internet billig bestellten Salz an die begeisterten Salinenbesucher ...
Leda, die eigentlich nie ein Kind in diese trostlose Welt setzen wollte, kümmert sich mal sehr liebevoll, mal gar nicht um den Jungen, weil sie tagelang mit Depressionen im Bett liegt.
Nach einer emotional besonders schwierigen Phase verlässt Leda ihren mittlerweile 12-jährigen Sohn. Zeno geht zwar weiterhin in der Stadt zur Schule, aber ansonsten ist er völlig allein. Das einzig Wichtige sind seine Seidenhühner und der Fluss. Nach und nach ziehen bei ihm fünf Fremde ein - Katt, Maju und die Unzertrennlichen Janusz, Golden und Pella - , die sich zu einer Art Wohngemeinschaft zusammenschließen. In Rückblenden erfahren wir von ihren früheren, abgestreiften Leben. Für Zeno werden sie so etwas wie Familie.
Der mächtige Fluss, das Salz und die Gezeiten, die in ihrem Zusammenspiel dem Land Schönheit und Zerstörung bringen, sind für mich die eigentlichen Hauptdarsteller des Romans!
Leona Stahlmann hat einen traurig-schönen Roman geschrieben, manchmal etwas merkwürdig und rätselhaft, in einer einzigartigen Sprache, die unglaublich kraftvoll und poetisch ist.
Einen Auszug aus ihrem Roman hat die Autorin bei den diesjährigen Lesetagen zum Ingeborg Bachmann-Preis vorgetragen.
Lesetipp von Andreas Mahr - 15.08.2022
Aus dem Englischen von Andreas Jäger
Thriller, btb, 16,00 €
Philip Taiwo ist forensischer Psychologe mit dem Spezialgebiet der Massenpsychologie, aufgewachsen ist er in Nigeria, studiert und erste berufliche Schritte absolviert hat er in den USA. Nun ist er wieder in Lagos, Nigeria, wo er an der Polizeiakademie lehrt. Er erhält den Auftrag, einen Lynchmord an drei Studenten in einer entfernten Provinz zu untersuchen. Auftraggeber ist der Vater eines der Opfer, welcher ebenso ein alter Freund von Taiwos Vater ist. Anfänglich scheint die Sachlage klar, die Studenten werden beschuldigt, das Dorf terrorisiert zu haben und als Waffen ins Spiel kommen eskaliert die Situation.
Bei seinen Ermittlungen stößt Philip Taiwo auf immer mehr Widersprüche und eine Mauer des Schweigens, sowohl von den Einwohnern als auch von der örtlichen Polizei. Er muss einsehen, dass er dieses Nigeria nicht kennt und er selbst als Fremder und Eindringling betrachtet wird. Seinen Auftrag will der dennoch erfüllen, trotz aller Gefahren.
Ein atmosphärisch sehr dichter und authentischer Politthriller, der die ganze Komplexität der Probleme Nigerias eindrucksvoll darstellt.
Lesetipp von Annette Quest - 11.08.2022
Kinderbuch ab 11 Jahren, Julius Beltz, 15,00 €
Nityananda, genannt Nits, der die Geschichte erzählt, versteht sich richtig gut mit Mischa. Mit niemandem sonst kann er solch schräg-lustigen Dinge tun wie Enten erschrecken oder auf Autos spucken. Oft reicht ein einziges Stichwort, um im Unterricht in Lachen auszubrechen. Der stets hibbelige Nits klopft gern gereimte Sprüche und Mischa mit seinem ganz eigenen Stil weiß einfach alles über große und ganz kleine Tiere. Nicht umsonst werden sie von dem fiesen Felix Labertasche und Klugscheißer genannt. Da sie viel Zeit miteinander verbringen, kennen sie sich gut – zumindest hat das Nits geglaubt.
Bis ihr Lehrer eines Tages ankündigt, dass sie statt Sport- Schwimmunterricht bekommen. Und Mischa sich beginnt, immer eigenartiger zu benehmen. Da plötzlich melden sich bei Nits immer mehr Fragen: Warum war er eigentlich noch nie bei Mischa zu Hause? Wieso hat er Mischas Mutter noch gar nicht kennengelernt? Ist Mischa wirklich so ehrlich, wie Nits immer geglaubt hat ...?
Stefanie Höfler verwebt das Tabu-Thema Kinderarmut in Deutschland gekonnt in eine sowohl unterhaltsame wie spannende Geschichte, deren authentische Charaktere mich ein wenig an Rico und Oscar von Andreas Steinhöfel erinnern. Der Roman ist nominiert für den Deutschen Kinder- und Jugendliteraturpreis 2022.
Catherine Cusset: Die Definition von Glück
von Susanne Sießegger,
13.09.2022
Varsha Shah: Ajay und die Tintenhelden
von Annette Quest,
04.09.2022
Silke Schlichtmann: Reißaus mit Krabbenbrötchen
von Sigrid Lemke,
03.09.2022
Leona Stahlmann: Diese ganzen belanglosen Wunder
von Sybille Kramer,
23.08.2022
Femi Kayode: Lightseekers
von Andreas Mahr,
15.08.2022
Stefanie Höfler: Feuerwanzen lügen nicht
von Annette Quest,
11.08.2022
Yarrow Townsend: Alva und das Rätsel der flüsternden Pflanzen
von Susanne Sießegger,
08.08.2022
Bert Wagendorp: Ferrara
von Sigrid Lemke,
25.07.2022
Kristina Gorcheva-Newberry: Das Leben vor uns
von Nicole Christiansen,
25.07.2022
Nathalie Stüben: Ohne Alkohol: Die beste Entscheidung meines Lebens
von Eva Lorenzen,
18.07.2022
Miranda Cowley Heller: Der Papierpalast
von Susanne Sießegger,
25.06.2022
Jane Gardam: Mädchen auf den Felsen
von Sybille Kramer,
21.06.2022
Mikita Franko: Die Lüge
von Michael Keune,
18.06.2022
Dita Zipfel: Brummps. Sie nannten ihn Ameise
von Annette Quest,
16.06.2022
Alice Oseman: Loveless
von Ella Klees,
11.06.2022
Dominic Sandbrook: Weltgeschichte(n) - Zeit der Finsternis: Der Zweite Weltkrieg
von Andreas Mahr,
08.06.2022
Joachim B. Schmidt: Tell
von Eva Lorenzen,
25.05.2022
Adania Shibli: Eine Nebensache
von Nicole Christiansen,
23.05.2022
Natascha Wodin: Nastjas Tränen
von Sönke Christiansen,
20.05.2022
Elina Ellis: Von wegen süß!
von Sigrid Lemke,
17.05.2022
Adam Silvera: More Happy Than Not
von Annette Quest,
14.05.2022
Christian Linker: Y-Game - Sie stecken alle mit drin
10.05.2022
Chris Vick: Allein auf dem Meer
von Annette Quest,
20.04.2022
Stewart O'Nan: Ocean State
von Eva Lorenzen,
20.04.2022
Marion Lagoda: Ein Garten über der Elbe
von Sybille Kramer,
17.04.2022
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