Die letzten Empfehlungen aus dem Team

Dmitrij Kapitelman: Das Lächeln meines unsichtbaren Vaters

Lesetipp von Michael Keune - 29.12.2016

Roman, Hanser Berlin, 20,00 €

Kiew war der erste Teil des Lebens von Leonid Kapitelman und den zweiten verbrachte er in einem Leipziger Russische-Spezialitäten-Laden und zwar im dortigen Büro. Aber ein heimatliches Gefühl kam in beiden Abschnitten nicht auf, er hatte kein richtiges Zuhause gefunden. Bis sein Sohn auf die Idee kommt, mit ihm nach Israel zu reisen. Zwar hatten sie schon mehrere Ausflüge gemacht, aber die waren nicht so weitgehend, als sie in einem sächsischem Asylheim wohnten.

Man beginnt nun Kontakte zu knüpfen, Freunde,Verwandte ausfindig zu machen, um im Gelobten Land nicht allein zu sein. Als sie angekommen sind, gibt es die amüsantesten Situationen. Menschen reagieren doch ganz anders als erwartet, und für den Sohn ergibt sich auch bald die Frage, wohin er gehört. Zunächst Kontin- gentflüchtling, halber Jude, ukrainischer Paß, und in Berlin gelandet.

Dmitrij Kapitelman erzählt auf sehr warmherzige Weise über diese Begebenheiten und für mich ist es die schönste Liebeserklärung an einen Vater.

David van Reybrouck: Gegen Wahlen. Warum Abstimmen nicht demokratisch ist.

Lesetipp von - 07.12.2016

Arne Braun
Sachbuch, Wallstein Verlag, 17,90 €

Der Titel provoziert. Gegen Wahlen? Wie kann man gegen Wahlen sein? Wahlen sind doch das A und O unserer Demokratie!

Tja. Unserer Demokratie vielleicht. Leider, muss man wohl sagen. Weil es in unserer Demokratie das einzige Mittel ist, mit dem das Staatsvolk (demos) Macht (kratos) ausüben kann. Und eigentlich ist es doch kein Geheimnis, dass wir ziemlich frustriert sind, alle paar Jahre ein Kreuzchen beim geringsten Übel zu machen, um dann zusehen zu dürfen, wie die Gewählten die im Wahlkampf gegebenen Versprechen brechen. Und haben wir nicht alle schonmal taggeträumt, was wir tun würden, wenn wir einmal wirklich mitbestimmen dürften?

Der belgische Historiker und Ethnologe David Van Reybrouck attestiert unseren Demokratien einen schlechten Allgemeinzustand. Die Wahlbeteiligung sinkt, Populisten gewinnen an Zulauf, die Regierenden befinden sich im ständigen Wahlkampf und entscheiden nach Kalkül und nicht nach Vernunft. Die Sache mit den Wahlen funktioniert nicht mehr.

Reybrouck ist aber nicht nur gegen Wahlen. Er ist auch für die Einführung des Losverfahrens. Auch dieser Gedanke lässt uns beim Lesen erstmal nicht ruhig im Sessel sitzen bleiben. Losverfahren?! Das heißt irgendwelche zufällig ausgewählte, im schlimmsten Fall inkompetente Spinner sollen in Zukunft den Staat lenken?

Ob Sie es glauben oder nicht: Das Losverfahren ist so alt wie die Demokratie selbst. In Athen wurden fast alle Posten ausgelost, nur die wenigsten durch Wahl besetzt. Wahlen hingegen wurden erst nach der französischen und amerikanischen Revolution eingesetzt. Und zwar von der Aristokratie, die an einer Demokratie ausdrücklich kein Interesse hatte. Sie wählte mittels Zensuswahlrecht aus den eigenen Reihen und hielt das Volk – richtig, für inkompetent.

Ist es aber nicht, wie einige Projekte in jüngster Vergangenheit gezeigt haben. In welchem Rahmen sich das Losverfahren schon bewiesen hat und wie das im großen Stil funktionieren könnte – das lesen Sie bei Van Reybrouck. Sie werden staunen und merken: Die Zeit ist reif!

Oliver Scherz: Wenn der geheime Park erwacht, nehmt euch vor Schabalu in Acht

Lesetipp von Andreas Mahr - 01.12.2016

Kinderbuch ab 6 Jahre, Thienemann-Esslinger, 12,99 €

Mo und seine Geschwister Kaja und Jonathan entdecken einen verlassenen Vergnügungspark und natürlich lassen sie es sich nicht nehmen, diesen fantastischen Ort zu erkunden und das Abenteuer kann seinen Lauf nehmen.

Kaum haben die drei Kinder den Zaun überquert, bricht das Chaos über ihnen zusammen. Denn der Park ist zum Leben erwacht. Sie geraten in eine Stampede von Plastikdinosauriern, vom Goldfieber gepackte Indianer verbreiten Unruhe, Zwerge lassen Zuckerwattewolken schweben, welche von zuckersüchtigen Riesen verspeist werden. Nur der Sheriff der Westernstadt versucht, die Situation zu beruhigen, und warnt die Kinder davor, tiefer in den Vergnügungspark zu dringen, denn die Unordnung wird von dem geheimnisvollen Schabalu verursacht. Natürlich wird dadurch die Neugier der drei erst recht entfacht. Wer oder was ist dieser Schabalu und muss es nicht irre lustig sein, ihn kennenzulernen.

Ein irrwitziger Vorlesespaß für die ganze Familie!

Jocelyne Saucier: Ein Leben mehr

Lesetipp von Sönke Christiansen - 23.11.2016

Sonja Finck
Roman, Insel Verlag, 19,95 €

Obwohl schon vor gut einem Jahr erschienen, habe ich dieses Buch erst kürzlich für mich entdeckt.

Eine Journalistin begibt sich auf ihrer Recherche über die großen Waldbrände von 1916 tief in die kanadischen Wälder im nördlichen Quebec. Hier stößt sie auf der Suche nach letzten Zeugen aus dieser Zeit auf zwei sehr alte Männer, die von der modernen Welt zurückgezogen ihr einfaches aber zufriedenes Dasein führen.
Nach anfänglichem Zögern öffnen sich die Männer der Journalistin und wir erfahren Stück für Stück ihre Lebensgeschichten und die Geschichte des dritten alten Mannes, eines Zeugen der Waldbrände, der aber kurz vor dem ersten Eintreffen der Journalistin gestorben ist. Immer wieder besucht die Journalistin die beiden Alten in ihren Blockhütten und als auch noch eine 80 jährige Frau zu dieser verschworenen Gemeinschaft stößt, entwickelt sich eine neue Dynamik...

Saucier erzählt die Geschichte der drei Alten in wunderbar gelassener Sprache, die mich stark an Robert Seethalers Roman „Ein ganzes Leben" erinnert. Ein Buch, das Hoffnung macht und zeigt, welche Überraschungen und Perspektiven es auch noch in der letzten Phase des Lebens geben kann.

Cynthia D' Aprix Sweeney: Das Nest

Lesetipp von Susanne Sießegger - 17.11.2016

Nicolai von Schweder-Schreiner
Roman, Klett-Cotta, 19,95 €

Ein ganz besonderes „Nest" wollte der Vater seinen vier Kindern bauen. Es geht um ein ordentliches Erbe, das den Geschwistern am 40. Geburtstag der jüngsten Tochter ausgezahlt werden sollte.
Die Plump-Geschwister verlassen sich ihr Leben lang auf dieses Nest und machen Pläne für den Tag, an dem es endlich, endlich soweit ist. Wir sind in New York, einer bekanntermaßen sehr teuren Stadt und auf die eine oder andere Art sind alle vier angewiesen auf die sehnlich erwartete Finanzspritze. Natürlich kommt es ganz anders.

Der älteste Bruder Leo, egozentrisch und unzuverlässig, hat das Erbe bereits verpulvert: für ein teures Scheidungsverfahren und Schmerzensgeld - im Drogenrausch hat er einen Autounfall verursacht...
Nun müssen die anderen drei mit der neuen Situation klarkommen.
Da ist Melody, die, um den schönen Schein zu wahren, mit Mann und zwei halbwüchsigen Töchtern immer über ihre Verhältnisse gelebt hat. Und Bea, verkannte Schriftstellerin, die ebenfalls notorisch pleite ist. Jack, dessen Antiquitäten-Laden nicht läuft und der Schulden hat, die er seinem Lebenspartner verschweigt.

Da ist ordentlich was los! Und es ist ein großes Vergnügen zu lesen, wie die vier ihr Leben überdenken und Lösungen für ihre jeweiligen Probleme finden.
Für alle Liebhaber gut geschriebener Familienromane!

Celeste Ng: Was ich euch nicht erzählte

Lesetipp von Ingrid Fiedler - 26.10.2016

Roman, dtv, 19,90 €

Dies ist der erste Roman der in Pittsburgh geborenen Tochter einer Amerikanerin und eines aus China emigrierten Naturwissenschaftlers. Sie ist schon durch Erzählungen und Essays aufgefallen. Dieses Buch ist ein Thriller oder ein Roman über eine Familie in der jeder – Vater, Mutter, Kinder – mit seinen gesellschaftlichen Positionen hadert. Er spielt in der Zeit der fünfziger bis in die späten siebziger Jahre. Auch wenn diese Zeit schon länger zurückliegt sind die Themen in diesem Roman, z. B. Rassismus, Überforderung der Kinder, Liebeskummer heute noch aktuell.

Es ist eine bewegende Familiengeschichte. Ein Vater, der als Chinese nie so richtig Anschluß in Amerika gefunden hat und sich deshalb im Hintergrund hielt. Eine amerikanische Mutter mit hohen Erwartungen an die Tochter. Die Mutter hat ihren Lebenstraum Ärztin zu werden der Familie geopfert. Jetzt soll die Tochter Ärztin werden. Dann die Tragödie: Eines Morgens erscheint die 16-jährige Tochter nicht zum Frühstück. Was ist passiert? Nach und nach gibt die Familie ihre Geheimnisse preis. In einer Kritik hieß es: „Bis in die hintersten Winkel sind die scheinbar gemütlichen Zimmer der Familie mit Schweigen zugestellt." Was waren die Gründe für den Selbstmord? Sehnsucht und Liebe und Wärme, oder Rassismus?

Dieser Roman ist eine spannende Mischung aus Familien- und Gesellschaftsthema.

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von Ingrid Fiedler, 26.10.2016

Matthias Brandt: Raumpatrouille
von Michael Keune, 21.10.2016

Boris Schumatsky: Die Trotzigen
15.10.2016

Sylvie Schenk: Schnell, dein Leben
01.10.2016

Horst Eckert: Wolfsspinne
von Sigrid Lemke, 28.09.2016

Connie Palmen: Du sagst es
von Nicole Christiansen, 22.09.2016

Steven Herrick: Wir beide wussten, es war was passiert
von Andreas Mahr, 29.08.2016

Barbara Beuys: Helene Schjerfbeck. Die Malerin aus Finnland
von Ingrid Fiedler, 27.08.2016

Bret Anthony Johnston : Justins Heimkehr
von Michael Keune, 18.08.2016

Jenny Han: To all the boys I' ve loved before
von Susanne Sießegger, 28.07.2016

Paula Fürstenberg: Familie der geflügelten Tiger
26.07.2016

Judith Hermann: Lettipark
16.07.2016

Gina Bucher: Ich trug ein grünes Kleid, der Rest war Schicksal. Geschichten von der Liebe
von Nicole Christiansen, 29.06.2016

Henrik Takeda: Inspektor Takeda und die Toten von Altona
von Sigrid Lemke, 29.06.2016

Jean-Philippe Blondel: This is not a love song
von Ingrid Fiedler, 29.06.2016

André Heller: Das Buch vom Süden
von Michael Keune, 28.05.2016

Gernot Gricksch: Ghetto Bitch
von Andreas Mahr, 28.05.2016

David Graeber: Bürokratie
28.05.2016

Boris Meyn: Elbtöter
von Sigrid Lemke, 28.04.2016

Juli Zeh: Unterleuten
28.04.2016

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